terça-feira, 15 de setembro de 2009

Asylrecht Europäisches Recht und griechische Praxis

13. August 2009 Am 20. Oktober 2007 verließ Kaveh P., ausgestattet mit gefälschten Papieren, sein Heimatland, die Islamische Republik Iran, mit einem Flugzeug von Teheran in Richtung Istanbul. Monate zuvor war der schmächtige Mann Ende zwanzig, ein gelernter Tischler, untergetaucht, nachdem Revolutionswächter seine Wohnung durchsucht hatten, als er gerade nicht zu Hause war. P. hatte an einer Gedenkveranstaltung auf dem Khawaran-Friedhof im Südosten Teherans teilgenommen. Dort hatte das Regime im Sommer 1988 die Leichname hingerichteter politischer Gegner anonym vergraben lassen; Hunderte, möglicherweise Tausende liegen dort, unter ihnen auch der Onkel von P. Ein stiller Protest unter den wachsamen Augen des Regimes - nun fürchtete er die möglichen Folgen.

Er wollte nach Deutschland, nach Frankfurt am Main, wo seine Eltern als anerkannte Flüchtlinge leben. Sein Weg führte von Istanbul nach Athen. In der griechischen Hauptstadt blieb P. einige Tage, ehe Verbindungsleute die Weiterreise nach Frankfurt organisiert hatten. Nach der Landung am 25. Oktober fielen dort - noch auf dem Rollfeld - bei einer Kontrolle die gefälschten Papiere auf. P. gab sich, so berichtet das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main in seinem Urteil in der Sache „Kaveh P. gegen Bundesrepublik Deutschland“ vom 8. Juli dieses Jahres, „gegenüber der vernehmenden Bundespolizei als Asylsuchender zu erkennen“, der Iran „aus Furcht vor drohender politischer Verfolgung“ verlassen habe.

Aus dem Einzelfall P. könnte der Präzedenzfall P. werden

Dieses Urteil, das das Aktenzeichen 7 K 4376/07.F.A(3) trägt, macht das nun folgende Asylverfahren zu einem besonderen Verfahren, an dessen Ende aus dem Einzelfall P. der Präzedenzfall P. werden könnte - mit Bedeutung insbesondere für die Anwendung der sogenannten Dublin-II-Verordnung vom 18. Februar 2003: Demnach ist derjenige EU-Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, in den der Flüchtling oder Migrant zuerst eingereist ist. Wird der Antrag in einem anderen Land gestellt, kann dieses den Betreffenden dorthin abschieben oder von einem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen und so das Verfahren an sich ziehen.

P. ist in Deutschland und, soweit bekannt, auch in ganz Europa der erste Asylbewerber, dem ein Gericht das Recht auf ein Verfahren im Zielland - Deutschland - zuerkannt hat, obwohl er schon abgeschoben worden war. Dass es dazu kam, liegt, daran lässt das Frankfurter Urteil keinen Zweifel, an den Bedingungen, unter denen Asylverfahren in dem EU-Mitgliedstaat ablaufen, über den P. nach Deutschland gelangte. Dass gerade P. dieser Vorreiter wurde, liegt daran, dass er Verwandte in Deutschland hat: Seine Eltern schalteten die Hilfsorganisation Pro Asyl sowie die Rechtsanwältin Ursula Schlung-Muntau ein, die entschieden, ein Musterverfahren zu versuchen. Denn der Fall P. ist aus ihrer Sicht auch ein Fall Griechenland. Berichte über Zehntausende Asylanträge, die nicht bearbeitet werden, über mittel- und obdachlose Migranten und Flüchtlinge auf den Straßen von Athen sind Legion. Im Juli zerstörten Planierraupen ein Lager in der Hafenstadt Patras, wo vor allem Afghanen gehaust hatten. „Die Auswirkungen dieser Situation hat Herr P. exemplarisch erlebt“, sagt Frau Schlung-Muntau.

Unter Hinweis auf die Zuständigkeit Griechenlands lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Dezember 2007 den Asylantrag des Iraners ab. Auch ein Eilantrag beim Verwaltungsgericht Frankfurt blieb erfolglos: Zwar empfahl das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) dem Gericht, bei Rückführungen nach Griechenland sehr vorsichtig vorzugehen, wenn nicht im Einzelfall der Zugang zu einem fairen Verfahren und angemessene Aufnahmebedingungen garantiert würden. Es gebe dort 40 000 unbearbeitete Anträge; im Jahr 2006 hätten in Griechenland 528 Iraner einen Asylantrag gestellt, nur acht von ihnen sei der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden. Insgesamt seien in dem Jahr nur 64 Personen als Flüchtlinge in Griechenland anerkannt worden, eine Quote von 0,61 Prozent. Auch habe Griechenland immer noch keine Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern erlassen; so gebe es kaum eine Chance, eine Unterkunft zu erhalten. Asylverfahren würden „abgebrochen“.

Doch das Bundesamt wies auf Zusicherungen der griechischen Stellen hin; auch werde die deutsche Botschaft in Athen informiert, um das Verfahren zu beobachten. Diese Argumente reichten dem Verwaltungsgericht damals aus. Am 23. Januar 2008 wurde P. nach Griechenland überstellt.

Essen gab es nur sporadisch

In der Kanzlei seiner Anwältin berichtet Kaveh P. mit Hilfe eines Übersetzers, wie er am Flughafen von Athen sofort in Gewahrsam genommen wurde. 16 Personen seien auf engem Raum zusammengepfercht gewesen. Man habe auf dem Boden schlafen müssen, nur sporadisch zu essen bekommen, die Toilette sei verdreckt gewesen. Schon am ersten Tag nach der Ankunft wurde P. zu den Gründen seiner Ausreise befragt, zusammen mit neun oder zehn weiteren Personen, ohne offiziellen Übersetzer und ohne Rechtsbeistand. Eine Beamtin richtete ihre Fragen auf Englisch an einen Afghanen aus der Gruppe, der etwas Farsi sprach und für P. übersetzte. P. sagte etwas, der Afghane gab etwas weiter, die Beamtin schrieb etwas auf Griechisch nieder. Schon nach drei bis vier Minuten unterschrieb P. ein Formular.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt stellt in seinem Urteil fest, dass diese Anhörung für das gesamte Asylverfahren des P. in Griechenland maßgeblich gewesen wäre - und dass die Umstände der Befragung nicht griechischem Recht, „geschweige denn“ europäischem Recht entsprachen. Eine griechische Anwältin, von den deutschen Helfern eingeschaltet, spürte P. schließlich am Flughafen auf; das Erste, was sie ihm brachte, war eine Zahnbürste. Sie erreichte auch, dass P. freigelassen wurde, nach zehn Tagen Haft. Er bekam die „Rote Karte“, die ihn als Asylantragsteller mit einem auf sechs Monate befristeten legalen Status auswies.

Arbeiten durfte er damit nicht, eine Unterkunft wurde ihm nicht zugewiesen, Hilfsleistungen gab es nicht. P. schlief mal im Park, mal für fünf Euro je Nacht in verlassenen Häusern, die demnächst abgerissen werden sollten. Das Geld verdiente sich P. als Straßenmusiker, er spielte Gitarre, ein anderer sang, man bot Flamenco. Meist verjagte sie die Polizei. Als er in der zentralen Ausländerbehörde in der Petrou-Ralli-Straße 24, wo Tausende Migranten und Flüchtlinge meist vergebens auf Termine warten, seine „Rote Karte“ verlängern lassen wollte, warf ihm ein Beamter das Papier vor die Füße und fragte wütend, was er denn hier wolle.

„Ich war glücklich, wenn ich einmal am Tag etwas zu essen bekam“, sagt P. Auch war er ständig in Sorge, nach Iran zurückgebracht zu werden - schließlich hatte er die Gründe seiner Flucht nicht darlegen können. Eine Postadresse - für das Verfahren von essentieller Bedeutung - hatte P. erst, nachdem er jemanden dafür bezahlt hatte, sich als dessen Untermieter ausgeben zu dürfen.

Das Ermessen „auf Null reduziert“

Derweil machten seine Helfer in Deutschland mobil: Für die Klage gegen die Ablehnung des Asylantrags fertigte Pro Asyl ein Gutachten zur aktuellen Situation der Asylsuchenden in Griechenland, berichtete unter anderem von ungeklärten Todesfällen unweit der Petrou-Ralli-Straße. Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Thomas Hammarberg, sah „schwere, systemische Defizite in der griechischen Asylpraxis“. Der griechische Ombudsmann rügte, dass seit Ende September 2007 die Ausländerbehörde keine Asylanträge mehr annehme. Und das UNHCR, auf dessen Stellungnahme sich das Verwaltungsgericht maßgeblich stützte, sah für „Dublin-Rückkehrer“ an nahezu allen Stellen des Asylverfahrens schier unüberwindbare Hürden und Hindernisse. Zur mündlichen Verhandlung am 8. Juli wurde P., der das nach eigenem Bekunden „nicht mehr erwartet hatte“, nach Deutschland eingeflogen - und kann nun einstweilen hier sein Asylverfahren weiter betreiben.

Denn die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts sah angesichts der Fülle der Berichte das Ermessen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge „auf Null reduziert“ und verpflichtete Deutschland zum Selbsteintritt. Deutschland müsse P. ein den EU-Richtlinien entsprechendes Verfahren gewähren, da zu erwarten sei, dass er es in Griechenland nicht bekommen werde - eine Begründung, die für eine Vielzahl von Fällen Gültigkeit beansprucht. Seit dem vergangenen Freitag läuft nun die Monatsfrist, innerhalb deren das Bundesamt entscheiden muss, ob es gegen das Urteil vorgehen und zunächst einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen will - freilich mit dem Risiko, dass eine bestätigende Entscheidung einer höheren Instanz noch größere Strahlkraft entfalten würde.

P. wohnt mittlerweile in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber im Landkreis Bergstraße im Süden Hessens. Wenn er in Deutschland bleiben darf, sagt er, würde er gern Musik studieren.

Von Friedrich Schmidt

Fonte: Faz.net (Frankfurter Allgemeine)

Nenhum comentário: